Im Namen Europas – weiträumig denken

Umberto Ecco, einer meiner Helden, ist gestorben.

In größeren Zusammenhängen und über größere Zeiträumen hinweg denken

Universal gebildet, weise, klug, begabt, warmherzig, leidenschaftlicher europäischer Demokrat. Der geschichtlich denkende Ecco war einer der ersten, der erkannte, dass wir in eine neue Art des Mittelalters abgleiten könnten. Seine Romane zeigen daher, vor einem präzise ausgeleuchteten historischen Hintergrund , Dramen und Komödien, die wir auf unserem Weg vom Dunkel zum Dämmer immer wieder aufführen. Gespielt von zutiefst widersprüchlichen, aus dem prallen Leben entsprungenen, solitären und zugleich archetypischen Akteuren  – immer in der Hoffnung, die Darstellung möge vielleicht  zu mehr Vernunft und intelligenteren Geschichtsverläufen anregen…

 Eccos Beobachtung stimmt mit einer fast vier Jahrzehnte alten These des französische Philosophen Jean Baudrillard überein. Beschleunigung und Fragmentierung, das seien die beiden wesentlichen Aspekte, die gegenwärtig die Dymamik der Zivilisation – und damit die Entwicklung moderner und postmoderner Gesellschaften überall auf auf der Welt – bestimmten. Wir tauchen, so die Zeitdiagnose Baudrillards, in eine Phase der Unordnung ein.

Ein Gefühl, wie es der Protagonist in Thomas Pinchons postmodernen Roman Vineland bewußt hervorruft: der springt am Anfang des Romans, wie jedes Jahr, irgendwo in einem abgelegenen Saloon in den Bergen, unter dem Gejohle der Gäste, mitten durch eine Scheibe, deren Splitter ihn, im Moment des Sprungs, wie Teile eines riesigen Puzzles umschwirren.

 Was wir gegenwärtig erleben ist genau das. Bestehende Ordnungen lösen sich auf und neue sind kaum in Sicht. Immer beschleunigter zerlegen sich Gemeinschaften und Gesellschaften in Fragmente, die unverbunden nebeneinander her existieren und vagabundierend umherschweifen. Ein Gefühl wie auf einer Achterbahn, die sich  beschleunigt und gleichzeitig in ihre Einzelteile zerlegt.

 Die Menschen, vor allem die herrschenden Eliten, reagieren auf die neuen Herausforderungen, mit den alten Ideen und Mechanismen. Abschotten, Territorien sichern, Burgen, Türme, Mauern, Pallisaden bauen, Expandieren, auf Raubzug gehen. Mehr. Schneller.

 Dagegen setzte das weiser gewordene Europa – zugleich Brutstätte und Leidensort zügelloser menschlicher Expansion – nach den katastrophalen Weltkriegen auf Kooperation, Solidarität und Ausgleich.

 Ach Europa, im Moment scheint all dass auf dem Spiel zu stehen. Im Kanal versenkt. Längerfristig gedacht scheint es aber kaum eine andere intelligente Überlebensstrategie zu geben. Dazu hier ein  Interview mit dem Astrophysiker und Naturphilosophen Harald Lesch.

Nur zu gern hätten wir den Naturwissenschaftler Lesch mit dem Geisteswissenschaftler Umberto Ecco im Gespräch erlebt.

Über Jan Bleckwedel

Psychologe und Autor
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