Erdogans modernes Sultanat

 

Erdogans Plan: Die Wiedergeburt der Türkei als islamischer Staat

Am Montag dieser Woche forderte der türkische Parlamentspräsident Ismail Kahraman, Mitglied der Erdogan Partei AKP, ein Ende der Trennung zwischen Staat und Religion.

Die Trennung von Staat und Religion, das ist Europa. Hervorgebracht durch wissenschaftlichen Fortschritt, errungen in langen und erbitterten Kämpfen, und motiviert durch die Aufklärung, die sich politisch vor allem gegen die Kumpanei weltlicher und kirchlicher Mächte richtete. Die Trennung von Staat und Religion ist die Grundlage von Freiheit, Demokratie und Wohlstand. Seit Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk ist die Trennung von Saat und Religion ein fundamentaler Bestandteil der türkischen Verfassung. Die moderne Türkei ist ohne diese Trennung nicht denkbar.

Kahraman will diese Trennung nun abschaffen. Er sagte: „Wir sind ein islamisches Land, deshalb sollten wir eine religiöse Verfassung schaffen“. Kahraman ist nicht irgendwer. Er ist federführend beauftragt mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Undenkbar wäre eine solche Äußerung, die selbst in der AKP nicht unumstritten ist, ohne die Zustimmung seines Herrn Erdogan. Erdogans halbherzige Distanzierung, die natürlich sofort erfolgte, ist nichts weiter als eines jener vielen Täuschungsmanöver auf dem langen und verschlungenen Weg zu einem islamischen Staat.

Erdogan hat es am Beginn seiner politischen Laufbahn unverblümt gesagt (Laizistisch und gleichzeitig ein Moslem zu sein, sei nicht möglich (Hem laik hem Müslüman olunmaz). In einem Interview mit der Zeitung Milliyet bezeichnete er sich früh als Anhänger der Scharia. Die EU beschrieb er als eine „Vereinigung der Christen“, in der die Türken nichts zu suchen hätten). Erdogan ging es immer um eine andere, eine großmächtige Türkei, eine Wiedergeburt des osmanischen Reiches. Ein autoritäres islamisches Regime mit einem charismatischen, religiös motivierten politischen Führer an der Spitze. Erdogan.

Der Plan lag und liegt offen zu Tage. Es wollte und will nur wieder mal keiner wissen. Und Erdogan und die AKP machen es ja auch geschickt. Tarnen und Täuschen , Zuckerbrot und Peitsche, Brot und Spiele, Ducken und Drohen, Korruption und brutale Gewalt, alle Mittel werden eingesetzt, um ans Ziel zu kommen. Eine kühl geplante kalte Revolution, die auf viel Geduld setzt.

Phase eins: Erdogan und die Seinen fressen demokratische Kreide, die AKP erobert auf demokratischem Wege die Macht, sie kurbelt die Wirtschaft an, macht sich beim Volk beliebt und marschiert durch die Institutionen. Die AKP erobert allmählich die geistige, politisch-kulturelle Hegemonie in der Türkei.

Phase zwei: Von ihren Machtpositionen aus (Executive, Polizei und Geheimdienste) , gestützt auf die Zustimmung des „einfachen“ Volkes, schaltet die neue Macht andere Machtzentren und deren Akteure systematisch aus (und ersetzt sie durch Getreue): Militär, Justiz, freie Presse, Künstler, Intellektuelle, Wissenschaftler, die kritische Jugend auf den Plätzen der Städte.

Phase drei: Macht und Machtbasis sind konsolidiert. Jetzt folgt keine Palastrevolution im herkömmlichen Sinne. Der Palast muss nicht mehr erobert werden (Erdogan hat ihn sich ja selbst erst, und wie prächtig, als Symbol des neuen Sultanats gebaut). Nein, hier stürmt der Palast das Volk und die republikanischen Institutionen, um, Schritt für Schritt, in der Türkei eine islamische Herrschaft zu errichten.

Und Europa? Der neue Sultan spielt mit der EU, zum Amüsement seiner Anhänger, unverhohlen Katz und Maus. Wer glaubt, er hätte es nur mit einem, seinen spontanen Launen folgenden, größenwahnsinnigen Potentaten zu tun, der irrt gewaltig. Dieser Mann hat einen Plan, und er verfolgt ihn mit Bedacht und Finesse.

Selbst die Rolle des durchgeknallten Narziss und testosterongesteuerten Clowns spielt dieser Mann nicht ohne Hintergedanken. Die juristisch-aussenpolitische Propagandaabteilung lässt er, mitten im Flüchtlingsdeal, Schlammbeutel aufs europäische Selbstverständnis werfen (Eingeschlossen das zunächst absurd wirkende Zicken gegen Böhmermänner und andere Comédie-Helden). Eine gezielte Provokation, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Schläge unter die Gürtellinie Europas – die eigenen Beliebtheitswerte steigen, die der anderen sinken (von Gegnern, aber auch von „besten Freunden“ wie Angela Merkel).

Aufregung bei den demokratischen Warmduschern, liberale Empörung allerorten! Diese Szene (der steil erhobene Stinkefinger des Patriarchen gegenüber den Demokraten und deren hilflose Wut) gefällt den autoritätsfixierten Wählern daheim und in der Diaspora ganz ausserordentlich gut (Führt Patriarch Erdogan nicht die europäischen Eliten, verblödet in ihrem Glauben, sich über die rückständigen Muselmanen erheben zu können, ganz wunderbar am Ring ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen durch die Manege)!  So punktet Erdogan für die nächste Wahl, für den nächsten Angriff auf seine Kritiker!!

Für Despoten ist Aussenpolitik immer in erster Linie Innenpolitik (Die Annexion des Saarlandes durch Adolf Hitler, die Annexion der Krim durch Putin…). Nur in den neunmalschlauen Regierungszentralen einiger westlicher Staaten scheint diese Lektion der Geschichte noch nicht angekommen oder vergessen zu sein.

In den Talkshows in Alemannia erregen sich Köpfe und Herzen um die Frage der Freiheit der Kunst. Derweil lacht sich der Despot ins Fäustchen und bereitet, verborgen hinter dem Sperrfeuer seiner kleinen Frechheiten gegenüber Europa, die Änderung der Verfassung vor: Aufhebung der Trennung von Staat und Religion.

Damit kommt man nicht in die EU? Auch das könnte Teil des trickreichen Spiels sein. Die bösen Europäer verschmähen uns, weisen uns stolze Türken zurück? Nur weil wir unserer Religion, unserem Glauben folgen, einen religiösen Staat nach unserer Fasson wollen? Die „gekränkte Ehre“ der einfachen Volksseele könnte eine unwiderstehliche Welle der Zustimmung erzeugen, auf der Erdogan und die AKP zum osmanischen Sultanat surfen. Gott ist groß.

Größer ist nur die menschliche Torheit.

 

Über Jan Bleckwedel

Psychologe und Autor
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