Ein Rahmen aus gegenseitiger Anerkennung und gegenseitigem Respekt
Nach dem 2. Weltkrieg, Europa lag in Trümmern, entwickelten entscheidende Teile der liberalen Eliten Ideen, Haltungen, Strukturen, Netzwerke, Institutionen und Pläne, um zukünftig ähnliche Katastrophen zu verhindern. Laßt uns gemeinsam Frieden und Wohlstand sichern und entwickeln. Eine Idee so schlicht wie revolutionär. Praktisch ging es darum, Institutionen und Prozesse aufzubauen, um Probleme, Konflikte und Herausforderungen gemeinsam anzugehen.
Der vollkommenste Ausdruck dieser Idee war die Einbeziehung Deutschlands in diese Bemühungen. Deutschland, das im faschistischen Wahn von der Weltherrschaft Europa in Schutt und Asche gelegt hatte wurde eingebunden in eine große Idee. Die EU ist – bei allen Übereilungen, Schwierigkeiten und Ärgernissen – ein lebendiger Beweis für die Kraft und Fruchtbarkeit dieser Idee.
Kreative Kooperation – Wie schützen wir uns vor der uns eigenen Destruktivität?
Das war und ist die Ausgangsfrage nach Auschwitz. Die EU ist nicht die einAntwort auf diese Frage.
Spätestens seit Mitte des 20ten Jahrhunderts treibt Künstler und Wissenschaftler überall auf der Welt die Frage um, wie wir mit den rasch wachsenden Widersprüchen zwischen Technikentwicklung einerseits und Humanitätsentwicklung andererseits angemessen umgehen können, ohne uns selbst abzuschaffen. Aus diesem Beweggrund entstanden nach dem 2. Weltkrieg zahlreiche internationale Institutionen, Strukturen und tiefe Netzwerke, die ein Überleben der Menschheit ermöglich sollen. Ausgangspunkt und Basis einer postheroischen Epoche, die jenseits von zügellosem Machtwillen und primitiven Kampfmodus auf kreative Kooperation setzt.
Dieser Prozess scheint jetzt bedroht. Nicht nur durch den Brexit. Aber der Brexit könnte historisch gesehen einen Wendepunkt markieren. Die alten Strukturen zerfallen mit ungewissem Ausgang. Die Folgen sind kaum abzusehen.
Ein Kommentar des amerikanischen Bioethikers Jonathan D. Moreno weist auf die Gefahren hin. Bioethics after Brexit – The Hastings Center
Was tun?
Es könnte sein, dass wir Zeugen einer politischen Zeitenwende werden, einer historischen Volte, in der nationale Machtzentren durch rechte Populisten und Radikale aller Art gekapert werden. Nicht nur in Europa, alle Kontinente und viele Länder sind betroffen (China, Indien, USA, Südamerika, Russland, der „islamische Gürtel“). Noch ist nichts entschieden. Aber die gesellschaftliche Dynamik wird gegenwärtig eindeutig von rückwärts gewandten Ideen und Kräften bestimmt. Erst die geistige Hegemonie, dann die konkrete Macht. Der Humanismus, diese große Idee, verliert erst seinen geistigen Einfluss und dann seine staatlichen Machtbasen.
Was tun? Es könnte jetzt darum gehen, transnational viele kleine Inseln, Archen und Lichtungen des Humanismus zu erhalten und zu sichern, zu pflegen und neu aufzubauen. Verbunden, aber autonom. Schwer auszumachen für die Machtzentren. Das wird wahrscheinlich ungemütlicher als es klingt. Die fetten und bequemen Jahre sind unwiderruflich vorbei. Es bleibt spannend.