Ich wachte auf und wußte, ich will keine politisch-philosophischen Meta-Texte mehr schreiben. Ich schreibe hier ja sowieso vor allem für mich. Jetzt erfordert die Situation eine Veränderung. Die Welt muss nicht mehr kommentiert werden. Das können andere besser. Und wer will, der kann vorbereitet sein auf das, was jetzt kommt. Wir können mit einer länger anhaltenden historischen Phase rechnen, in der die Demokratie und ihre Werte strategisch in die Defensive geraten. Der Kampf um die grundlegenden Werte unserer Zivilisation hat begonnen, und der Ausgang ist ungewiss. Der Rest ist Praxis.
Was das Schreiben angeht werde ich etwas Neues beginnen. Momentaufnahmen, subjektiver, persönlicher, eigensinniger. Dies ist, nach einem Jahr, mein Abschieds-Meta-Text auf Kleine Lichtungen.
Politische Ökonomie – Eine Welt in Aufruhr
Vormals, in den Tagen der sozialen Marktwirtschaften, hielten sich die politischen Gemeinschaften ein freundliches Haustier, das fette Milch gab. Die Ökonomie. Die politischen, kulturellen, menschlichen und ökonomischen Bilanzen der westlichen Welt konnten sich, alles in allem, sehen lassen – zumal nach der Katastrophe des Faschismus. Eine erneuerungsfähige, letztlich erfolgreiche politische Union entstand. Die EU.
Dann ereilte diese Welt ihr Schicksal in Form eines Sieges. Der Sieg im Wettbewerb der Systeme endete mit einem klaren KO-Sieg der westlichen Demokratien. Den Verlierern knickten einfach die Beine weg. Spätestens ab Mitte der siebziger Jahre des 20ten Jahrhunderts, als überdeutlich wurde, dass alle (bis heute alle!) Experimente mit „realen Sozialismen“ in monströsen Desastern enden: nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, rechtlich, kulturell, human. Alle Gegenmodelle, alle alternativen gesellschaftlichen Träume und Gegenentwürfe – a`fonds perdu, untergegangen in einer traumatischen Erfahrung von der Größe einer Supernova.
Das „Ende der Geschichte“ (der Auseinandersetzungen um Modelle) schien nah. Alles hätte gut werden können, sogar die Wunden des Kolonialismus hätten vielleicht, mit ein wenig mehr Sensibilität für die eigenen Werte auch in der Fremde, wenn nicht geheilt so doch gelindert werden können. Wäre man nur dem Modell „soziale Marktwirtschaft“ treu geblieben. Aber Erfolg lullt ein, und Einige sticht immer der Hafer. Üble Laune der Geschichte. „Lasst sie frei, lasst sie frei“, schrien die Gierhälse und Abenteurer, die Spielsüchtigen und Oberschlawiner. Und die politischen Gemeinschaften ließen es zu, dass diese Leute das Haustier, die Ökonomie, freiließen.
Seitdem läuft die entfesselte Milchkuh, die Ökonomie, als wildgewordenes Bullenmonster mit Bärenkrallen außer Rand und Band da draußen herum, macht Krawall, zerstört Kulturwelten und Kulturlandschaften, versetzt Leute in Angst und Schrecken, und macht uns alle schrecklich wütend . Natürlich gibt es komplexe äußere Bedingungen, aber die inneren Ursachen für den Aufstieg des ultra-rechten Populismus liegen genau hier: Im ideologischen Siegeszug des Neoliberalismus.
Und „die gebildeten Eliten“ schwingen dazu, ob sie es nun wissen wollen oder nicht, den Taktstock und machen Musik.
Seit Jahren feiern die politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Eliten die Entfesselung der Ökonomie als Befreiung. Die Eliten predigen den Primat der Ökonomie über die Politik (it’s economy, stupid), treiben überall die Deregulierung voran und werden niemals müde zu erklären, dass alles sei „in der Globalisierung“ nun einmal unumgänglich und alternativlos. Auf diese Weise stieg der radikale Neoliberalismus global zur bestimmenden geistigen Macht auf. Er durchdringt heute weltweit alle gesellschaftlichen Strukturen, Spähren, Milieus und Schichten. Vom Milliardär, über den Arzt bis zum Truckfahrer.
Warum nur haben sie Donald Trump gewählt? Da gibt es verdammt viele Gründe. Einer davon ist eben der. Ausgespuckt vom System, angespuckt von den Eliten, wähle ich den, der das Establishment bespuckt (ganz egal wie dreckig der Finger ist, den er der Elite in den gottverdammten A…steckt). Fuck you.
Ein paar Einsichten
Die entfesselte Ökonomie tötet die Seele. Die entfesselte Ökonomie zerstört auf Dauer die Lebensgrundlagen und Entwicklungsräume menschlichen Zusammenlebens. Die entfesselte Ökonomie spaltet die Welt beschleunigt in Fragmente (Jean Baudrillard), trotz oder gerade wegen all der Vernetzung. Jetzt fliegen uns die Brocken um die Ohren. Eine zerfallende Welt aus zerfallenden Welten, die nichts mehr miteinander zu tun haben. Es sei denn, sie treffen gewaltsam aufeinander.
Die entfesselte Ökonomie treibt den Widerspruch zwischen den versprochenen/ erwarteten Welten und den erlebten/gefühlten Welten auf die Spitze. Das kann nicht gut gehen. Auf den Rausch folgt der Kater. Cold Turkey, Depression und Wut! Die ganz große Wut auf das „System“.
Im Ergebnis „entkernt“ die entfesselte Ökonomie sowohl post-sozialistische Länder (China) als auch westliche Demokratien (USA): Lebenswelten zerfallen, Lebensstile verschwinden, Werte lösen sich auf, Regeln verlieren ihre Gültigkeit, Moralien verlieren ihre Anziehungskraft, die Sitten verfallen, das Vertrauen in und die Identifikation mit „dem System“ sinkt rapide. Die entfesselte Ökonomie höhlt die Politik von Innen aus. Die Nuss fault von Innen. Zurück bleibt eine leere gesellschaftliche Hülle, die zwischen inneren Anstürmen (Populismus) und äußeren Bedrohungen (religiös motivierter Terrorismus) leicht aufgerieben werden kann.
Auf politische Auseinandersetzungen und politischen Kampf sind wir, „die Mitte“, dekonstruiert durch die Postmoderne, nicht vorbereitet (wer kann denn heute noch diskutieren, ohne sich abzuwenden oder zu empören).
All das spüren die Menschen und suchen nach Antworten. Wir aber, die gebildeten Schichten, kultivieren das Fragen und haben schon lange aufgehört, nach Antworten zu suchen. Diese politische Lücke nutzen die ultra-rechten Populisten. Sie füllen die emotionale Leere mit Erlösungserzählungen. Ein bunter, lokal colorierter Cocktail aus Kraftmeierei, Nationalismus, Ressentiments, Restauration, Volksgemeinschaft, Totalitarismus, Gewaltbereitschaft, entfesselter Ökonomie (sic!) und starken Emotionen. Natürlich handelt es sich um Scheinlösungen, die nicht funktionieren können. Und natürlich ist das alles unlogisch und unvernünftig. Wahrscheinlich wissen das sogar die Meisten. Aber die untergründigen Emotionen sind stärker als die Vernunft.
Es liegt immer eine merkwürdige Untergangssehnsucht in den wahnsinnigen Größenphantasien.
In den Zeiten der Wirrnis und des gefühlten Untergangs suchen die Massen intuitiv Unterschlupf im Autoritären. Nicht in der Vernunft. Das einzige, was uns Verfassungspatrioten bleibt, ist, politisch in die Mitte zu rücken, um das Zentrum zu stärken. Vielleicht geht es noch eine Weile gut.