Im November 2015 begann ich diesen Blog. Die Welt, schien mir, spielte verrückt. Paris im Januar, der feige Massenmord an den Zeichnern von Charly Hebdo, im November die Terroranschläge auf das Leben in den Straßen, auf den Plätzen, in den Stadien, den Hallen. Die Barbarei erhebt ihr Haupt, und die Zukünfte werfen mehr Schatten als Licht. Was tun? Wie behalten wir die Leichtigkeit, die uns durchs Leben trägt? Einen Blog schreiben? Immerhin ist Schreiben mehr als nichts. Ich wollte den Wahnsinn nicht einfach so hinnehmen. Schreiben ohne Illusionen. Ein November Journal.
Licht und Schatten in den Blick nehmen. Zwischendurch nachdenken. Beobachten, wie Licht Schatten wirft.
Ohne Illusionen kleine Lichtungen größer machen.
Einige Beiträge entstanden. Eine Entlastung. Wahrscheinlich ein Versuch, der Vernunft, und der unvermeidlich mit ihr einhergehenden Melancholie, in den Zeiten der technologiegetriebenen Gegenaufklärung einen Platz einzuräumen. Das Gefühl der Vergeblichkeit bleibt, wurde stärker.
Schlechte Nachrichten fallen immer schneller aus taghell ausgeleuchteten Nächten, prasseln auf die Gemüter, lärmen wie dicke Hagelkörner auf Wellblechdächern, durchschlagen Gewissheiten, schwärmen wie aufgescheuchte Wespen durch aufgeheizte Räume. Was wir die Öffentlichkeit nennen, wird zunehmen erfasst von einer andauernden Erregung. Die Welt stürzt voran. Läßt sich das Stürzen aufhalten? Kann das Voranstürzen in eine andere Richtung gelenkt werden?
Das Internet-Journal nahm mich mehr und mehr in Beschlag. Die Ereignisse überschlugen sich und das Tempo nahm zu. Ich wollte das Wüten der Welt auf Distanz halten, indem ich darüber schreib. Das war der Plan. Aber im Ergebnis übernahm der Nachrichten-sturm das Kommando.
Das Wüten schlägt dich in seinen Bann. Schleichend beginnt das Trommelfeuer der Nachrichten den Rhythmus deiner Tage zu diktierten, und wenn du nicht aufpasst, zieht das Grollen und Toben in dich ein, wie tanzende Derwische, die keine Sekunde still halten.
November 2016. Dann kam der Tag, an dem Amerika wählte und seine Geschicke in den Schoß des monströsen Clowns legte.
In einem katastrophalen Akt zerreisst Amerika, das gespaltene Land, seine Einheit. Verliert sein Gleichgewicht. Zermalmt seine Traditionen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten opfert seine Identität auf dem Altar der Engstirnigkeit, die als blinder Passagier im Bauch der Schiffe mit eingewandert war, zwischen all dem Anderen, den Teeballen und dem Streben nach Freiheit und Glück.
Das weite Land mit allen seinen Verheißungen versinkt in einem Morast aus Kleingeistigkeit und billigen Lügen. Völkische Parolen im Weißen Haus, die Wahrheit eine Hure unter dem Daumen twitternder Psychopathen, die Macht in den Händen einer seltsam zusammengewürfelten Bande, bei der man nicht weiss, vor wem man sich mehr fürchten soll (rechtsradikale Desperados, gewissenlose Reiche, unbelehrbare Reaktionäre, kriegsgaile Generäle, gierige Finanzwölfe).
Ein blutiger Bürgerkrieg hat die Vereinigten Staaten von Amerika als Ort der Hoffnung auf die Landkarte gesetzt – jetzt löst sich dieser Zufluchtsort auf, verschwindet, als wäre es eine Fata Morgana gewesen, eine kurze Laune der Geschichte.
Mehr Melancholie wagen und neue Leichtigkeit gewinnen
Ich war wie gelähmt, wußte in meiner Melancholie aber sofort, ich müßte etwas ändern. Nicht an der Welt, sondern an meiner Einstellung zur Welt. Wenn jetzt ein Zeitalter medial getriebener Gegenaufklärung anbricht, wie gehe ich damit um?
Es wird ein unübersichtliches Jahrhundert bleiben.
Wir werden kämpfen müssen, um die Wahrheit und um die Menschlichkeit.
Ich werde mich wieder mehr um das Eigentliche Kümmern. Meine Projekte. Mich selbst. Meine unmittelbare Umgebung. Das Wesentliche. Ich schreibe einen vorletzten Beitrag für dieses Journal.
Vernunft setzt Melancholie voraus. Vernunft bedeutet, ohne Angst leidenschaftlich nach Wahrheiten zu suchen und skeptisch zu bleiben. Melancholie hilft dabei, die eigene Weltsicht zu hinterfragen. Sie ist eine Quelle von Demut und Leichtigkeit.