Warum ich optimistisch bleibe

Drei Gefahren bedrohen gegenwärtig den Prozess der Zivilisation. Totalitärer Autokratismus, fanatischer Fundamentalismus und neoliberaler Marktradikalismus. Zeit für eine persönliche Positionsbestimmung, die Hoffnung lebendig hält. 

Gute Gemeinschaften sorgen für ein solidarisches Aushandeln individueller und gemeinschaftlicher Entwicklungsräume. In diesem Prozess – der Begrenzung und Austausch sozial, kulturell, politisch und ökonomisch reguliert -, soll die Würde des Menschen soweit wie möglich unantastbar bleiben

Diese Idee bildet den Kern der Zivilisationsentwicklung. Der Prozess der Zivilisation und der psychischen Evolution des homo sapiens brachte eine Fülle sozialer, kultureller, politischer, juristischer und ökonomischer Praktiken hervor, die sich auf diese Idee beziehen. Darin zeigt sich eine grundlegende Fähigkeit unserer Spezies, die uns von Tieren und Maschinen fundamental unterscheidet. Im Verlauf der Evolution erfanden Menschen immer komplexere Formen des Miteinanders, der Kooperation und emotionalen Abstimmung – wir haben tatsächlich gelernt, unsere Beziehungen schöpferisch zu gestalten, zu uns selbst, untereinander und zur Umgebung. Diese Fähigkeit nenne ich Kreativität 2. Ordnung.   

Das bedeutet nichts weniger, als dass wir die Möglichkeitsräume, in denen wir uns bewegen und entwickeln können, gemeinsam mit anderen erfinden. Diese Erkenntnis erschreckt und tröstet zugleich. Ja, die Welt ist so, wie wir sie gemeinsam hervorbringen, und nein, sie muss nicht so bleiben, wir können sie anders erfinden und gestalten. In dieser Überzeugung wurzelt meine Hoffnung.

Wie alle Entwicklungen verläuft der Prozess der Zivilisation keineswegs geradlinig, eindeutig, unwidersprochen oder unumkehrbar. Er verläuft sehr allmählich, voller Windungen und Wendungen, regional ungleichzeitig, und er wird immer wieder massiv bedroht[1]– und doch zeigt er sich zu allen Zeiten, in allen Kulturen und an allen Orten! Er bleibt lebendig in der Sehnsucht der Menschen – unabhängig von geschlechtlicher Orientierung, kultureller Prägung, ethnischer Zugehörigkeit oder Weltanschauung. 

Aufgeklärter Humanismus

Als Person bin ich – das macht den Kern meiner Identität aus – tief überzeugt und geprägt von den Werten eines aufgeklärten Humanismus, der sich sowohlauf das einzelne Individuum als auchauf die Gemeinschaft bezieht.

 Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft bleibt ein Spannungsfeld. Die Idee, mit der ich mich in diesem Spannungsfeld bewege: Kein Mensch, keine Gemeinschaft soll einen anderen Menschen oder eine andere Gemeinschaft in seiner/ihrer Würde verletzen, ausbeuten oder unterdrücken. Weit entfernt von der Verwirklichung dieser Idee besteht ein aufgeklärter Humanismus[2]dennoch auf einem Ideal mit universellemAnspruch. Dieses Ideal drückt sich aus in der Erklärung der allgemeinen Menschrechtedurch die UN 1948 in New York. 

Praktisch konkretisiert sich der aufgeklärte Humanismus – mit allen Unzulänglichkeiten und Schwächen demokratischer Systeme – in demokratischen Verfassungen und Institutionen. Dabei bilden Freie Wahlen, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, unabhängige Justiz, freie Medien und Zivilgesellschaft[3]eine Einheit. 

Lebendig und überlebensfähig bleiben demokratische Systeme dann, wenn sie von Zivilgesellschaften getragen werden, die in weitgehend offenen und freien Diskursen diskutieren und schließlich aushandeln, was denn Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und Mitgefühl in verschiedenen Situationen und gesellschaftlichen Bereichen[4]heute und morgen bedeuten könnte.

Alles weitere ist Pragmatismus.




[1]Vor allem durch absolutistische Glaubenssysteme und totalitäre Ideologien. Die Katastrophen und Zivilisationsbrüche des 20ten Jahrhunderts waren nicht die ersten und werden nicht die letzen in der Geschichte der Menschheit  gewesen sein. 

[2]Im Sinne Hannah Arendts

[3]Zivilgesellschaft: Damit ist die politische Beteiligung aller Bürger gemeint, eine weitgehend gleichberechtigte Beteiligung, die das Zugehörigkeitsgefühl und Vertrauen in demokratische Systeme erst konstituiert und lebendig hält. Genau hier entfaltet der verbreitete elitäre Neoliberalismus gegenwärtig seine fatale Wirkung; er zersetzt die Vitalität (westlicher) Demokratien von Innen.  

[4]Wissenschaft, Politik, Kunst, Ökonomie, Kultur, Bildung, Basale menschliche Beziehungssysteme.

Über Jan Bleckwedel

Psychologe und Autor
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